Vorratsdatenspeicherung – Klage des Internetproviders SpaceNet am VG Köln

Karl-Heinz Laube / pixelio.de

Im Mai 2016 habe ich über eine Klage der Fa. SpaceNet vor dem Verwaltungsgericht Köln (VG Köln) berichtet. Diese klagte, dass sie nicht verpflichtet sei, die Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden zu speichern, denen sie den Internet-Zugang vermittelt.

Sie hatte zusätzlich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Diesen Eilantrag hat das VG Köln nun im Januar 2017 abgelehnt.

SpaecNet ist ein Internetprovider für Geschäftskunden.

Um was geht es in der Klage?

Bei den Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Vorratsdatenspeicherung (VDS) geht es um die Achtung des Privatlebens der Bürger und den Schutz personenbezogener Daten.

In dem Verfahren vor dem VG Köln will SpaceNet andere Punkte geklärt haben. Hier geht es um die unternehmerische Freiheit und die Berufsfreiheit. Es geht auch darum, dass die flächendeckende Speicherung der Verbindungsdaten gegen das Recht der EU verstößt. Man hat sich hier auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 08.04.2014 berufen. Inzwischen gibt es eine weitere Entscheidung des EuGH vom 21.12.2016.

Weiter wird in der Klage dargelegt, dass die VDS gerade für kleinere und mittlere Unternehmen extrem belastend ist. Die vorgesehenen Entschädigungsregelungen seien unzureichend.

Die Dauer solcher Verfahren ist immer schwer absehbar, so dass zugleich ein Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt wurde. Dieser sollte dazu führen, dass SpaceNet vor einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache nicht verpflichtet sei zu speichern.

Diesen Eilantrag wies das VG Köln in einer 35-seitigen Entscheidung ab. Ich will versuchen die Begründung im Folgenden darzustellen. Leider wird dies dadurch erschwert, dass das Urteil keinerlei Gliederung aufweist, lediglich in der Internetveröffentlichung des Gerichts gibt es pro Absatz eine Randziffer, wirklich hilfreich ist dies aber nicht.

Die Entscheidung des VG Köln

Dazu muss man zuerst erklären, was eine einstweilige Anordnung leisten kann und was nicht. Wie der Name schon sagt, ist es keine endgültige Entscheidung, sondern soll vorab eine vorläufige Entscheidung getroffen werden

Das VG Köln führt richtig aus, dass eine solche Anordnung nur ergehen kann, wenn ansonsten schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Dies gelte vor allem dann, wenn eine erhebliche Grundrechtsverletzung droht, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen.

Es sei somit von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder nur erschwert revidierbar sind. Nur dann könne eine einstweilige Anordnung erlassen werden.

Derartige schwere und unzumutbare Nachteile sieht das Gericht nicht.

Es finden sich in der Entscheidung immer wieder gebetsmühlenhaft ähnliche Formulierungen:

„… kann im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht festgestellt werden.“

„… bedarf der vertieften Überprüfung im Hauptsacheverfahren.“

„.. muss aufgrund der Komplexität der zu beantwortenden Fragen der Prüfung im Hauptsacheverfahren überlassen bleiben.“

An diesen Stellen bezieht sich das VG Köln vor allem auf Rechtsfragen, die es als derart schwierig ansieht, dass es diese lieber auf das Hauptsachverfahren verschiebt. Ich werde dabei das Gefühl nicht los, dass es insbesondere das Urteil des EuGH vom Dezember 2016 nicht akzeptieren will.

Ich werde mich deshalb im Folgenden vor allem auf die Punkte in der Entscheidung konzentrieren, die sich damit auseinandersetzen. Eine Besprechung aller als fehlerhaft erscheinenden Ausführungen würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen.

VG Köln und EuGH

Das VG Köln schreibt auf S. 13 seines Urteils zur Entscheidung des EuGH vom 21.12.2016:

„… Allerdings ist unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 21. Dezember 2016 … derzeit offen, ob davon auszugehen ist, dass die TKG-Vorschriften über die generellen Speicherungspflichten europarechtlicher: Überprüfung standhalten werden. Denn den Ausführungen des EuGH, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 im Lichte.-der Art. 7, 8-und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 EuGRCh (GrundrechteCharta der EU) dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht, könnte zu entnehmen sein, dass eine „anlassIose“, generelle Speicherung grundsätzlich europarechtswidríg ist.

Ob dies allerdings auch dann gilt, wenn die nationale „anlasslose“ Speicherungsverpflichtung mit gesetzlichen Garantien hinsichtlich des Datenzugangs, der Dauer der Vorratsdatenspeicherung sowie des Schutzes und der Sicherheit der Daten einhergeht, bedarf der vertieften Überprüfung im Hauptsacheverfahren….“

Der EuGH hat aber eindeutig entschieden:

„Das Unionsrecht untersagt eine allgemeine und unterschiedslose Vorrats-speicherung von Verkehrs- und Standortdaten…“

Richtig an den Ausführungen des VG Köln ist allein, dass der EuGH eine Speicherung grundsätzlich für möglich ansieht. Diese muss sich jedoch auf das absolut Notwendige beschränken. Diese darf nur erfolgen zum Zwecke der Bekämpfung schwerer Straftaten, sofern

  • eine solche Speicherung hinsichtlich der Kategorien von zu speichernden Daten,
  • der erfassten Kommunikationsmittel,
  • der betroffenen Personen
  • und der vorgesehenen Dauer der Speicherung auf das absolut Notwendige beschränkt ist.
  • Der Zugang der nationalen Behörden zu den auf Vorrat gespeicherten Daten muss von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, zu denen insbesondere
  • eine vorherige Kontrolle durch eine unabhängige Stelle
  • und die Vorratsspeicherung der Daten im Gebiet der Union gehören.

Dem genügt das deutsche Gesetz nicht. Dies bedarf keiner vertieften Prüfung im Hauptsacheverfahren. Hier ist allenfalls der Wunsch, dass man doch eine Lücke in der Entscheidung des EuGH finden möge, der Vater des Gedanken die einstweilige Anordnung im vorliegenden Verfahren abzulehnen.

Da bedarf es keiner seitenlangen Ausführungen weshalb aus den Entscheidungen des EuGH und den Ausführungen des Generalanwaltes vielleicht eine Vorratsdatenspeicherung zulässig sein könnte.

Ja, theoretisch ist sie das, aber das deutsche Gesetz erfüllt schlicht und ergreifend die oben genannten Voraussetzungen nicht.

VG Köln und die Sinnhaftigkeit der Vorratsdatenspeicherung

In diesem Zusammenhang erscheinen die Ausführungen des VG Köln in sich widersprüchlich.

So führt das Gericht auf S. 10 des Urteils aus:

„…  legitimieren sich die den TeIekommunikationsunternehmen auferlegten Speicherungs- und Übermittlungspflichten aus der Zielsetzung des Gesetzes zur Effektivierung der Strafverfolgung.“

Auf S. 11:

„… Denn die auf Vorrat zu speichernden Daten bieten den für die Strafverfolgung zuständigen Behörden eine zusätzliche Ermittlungsmöglichkeit zur Verhütung oder Aufklärung schwerer Straftaten: Damit trägt die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung schwerer Kriminalität bei. Insbesondere ermöglicht diese Verpflichtung in gewissem Umfang den Strafverfolgungsbehörden – anders als bei gezielten Überwachungsmaßnahmen, für die zukünftig eine Datenspeicherung angeordnet wird – durch Abfragen der auf Vorrat gespeicherten Daten die Vergangenheit zu entschlüsseln…“

Auf S. 12:

„… Dagegen erfasst eine generelle Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung alle Kommunikationsvorgänge sämtlicher Nutzer, ohne dass irgendein Bezug zu einer schweren Straftat erforderlich ist…“

Dies ist, angesichts der Rechtsprechung des EuGH schon starker Tobak. Auf S. 22 der Entscheidung wird es aber dann noch spannender. Das Gericht lässt sich zuvor lange darüber aus, welche Merkmale gespeichert werden sollen und welche nicht. Es versucht darzulegen, dass doch gar nicht so viel gespeichert wird, um den Aufwand der Speicherung kleinzureden. Es kommt dann zu folgendem Schluss:

„… Auch wenn eine Datenspeicherung nicht sicherstellen kann, dass alIe Telekommunikationsverbindungen verlässlich bestimmten Anschlussnehmern zugeordnet werden können, kann dies der Geeignetheit einer solchen Regelung nicht entgegengehalten werden. Diese erfordert nicht, dass das Regelungsziel in jedem Einzelfall tatsächlich erreicht wird, sondern verlangt lediglich, dass die Zweckerreichung gefördert wird, …“

Äh, das heißt im Schleppnetz bleiben dann auch völlig Unbeteiligte und Unschuldige hängen. Hierfür beruft sich das VG Köln auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 02.03.2010 und dessen Randnummer 207.

Lassen Sie es mich mal so sagen, diese Bezugnahme ist mutig. Es heißt dort wie folgt:

„… Auch wenn eine solche Datenspeicherung nicht sicherstellen kann, dass alle Telekommunikationsverbindungen verlässlich bestimmten Anschlussnehmern zugeordnet werden können, und etwa Kriminelle die Speicherung durch die Nutzung von Hotspots, Internetcafés, ausländischen Internettelefondiensten oder unter falschen Namen angemeldeten Prepaid-Handys unterlaufen können, kann dies der Geeignetheit einer solchen Regelung nicht entgegenhalten werden….“

Sie bemerken den Unterschied?

Das BVerfG spricht davon, dass eine Zuordnung nicht vorgenommen werden kann, weil von öffentlichen Zugangspunkten oder von Prepaid-Handys aus die Kommunikation geführt wird.

Das VG Köln spricht davon, dass verschiedene private Personen, also auch völlig unbescholtene Bürger zunächst mal als Täter in Frage kommen. Diese Nonchalance mit der hier unschuldige Bürger einem Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchungen und vielleicht sogar Verhaftungen ausgesetzt werden, bis deren Unschuld festgestellt ist, verschlägt einem fast die Sprache.

Weiter geht es auf S. 22

„… Zwar mag aufgrund. der nur begrenzten Speicherungsverpflichtung möglicherweise nicht jedes berechtigte AuskunftsverIangen zu einem unmittelbaren Erfolg bei der Strafverfolgung führen. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass es ohne die Speicherung von Internetzugangsdaten in vielen Deliktsbereichen bereits an einem ersten Ermittlungsansatz fehlte….“

Nur weil möglicherweise ein Ermittlungsansatz gegeben sein könnte, will das VG Köln es ermöglichen, dass unschuldige Bürger in ein Ermittlungsverfahren geraten.

VG Köln und Berufsgeheimnisträger

Hier geht es u.a. um Ärzte, Rechtsanwälte und Journalisten, um alle Berufe, die vor Gericht das Zeugnis verweigern dürfen, da sie einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen.

Die Ausführungen auf S. 24 der Entscheidung sind ungefähr ähnlich wie die völlig verwirrende gesetzliche Regelung, was nun gespeichert und/oder in einem Ermittlungsverfahren verwertet werden darf. Ich will Sie hier auch nicht mit langen Paragraphenketten verwirren. Im Endeffekt läuft es auf folgende Ausführungen zu den Zeugnisverweigerungsberechtigten hinaus:

„… Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu Iöschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und der Löschung der Aufzeichnungen ist aktenkundig zu machen. … Die Antragstellerin übersieht damit, dass die Speicherregelungen durch strenge Verwendungsregelungen – § 100g Abs. 4 StPO – flankiert werden, die im Strafverfahren ein absolutes Verwertungsverbot zur Folge haben, wenn Daten versehentlich erhoben werden …“

Ich darf hier den geneigten Leser, die geneigte Leserin noch auf eine kleine, feine, aber erhebliche Differenzierung hinweisen.

Der § 100g Abs. 4 StPO spricht von der Erhebung von Verkehrsdaten, die verboten ist. Man nehme nun mal den Absatz 2 dieses § 100g hinzu, um festzustellen was Erhebung bedeutet.

„… dürfen die nach § 113b des Telekommunikationsgesetzes gespeicherten Verkehrsdaten erhoben werden, soweit die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre …“

Sie merken was? Erheben bedeutet aus den gespeicherten Daten das herauszusuchen was man braucht. Dies bedeutet wiederum, dass die Daten von Berufsgeheimnisträgern, von kirchlichen und sozialen Stellen etc. erst mal gespeichert sind. Nur deren Herausnahme aus den gespeicherten Daten soll untersagt sein.

Merke, es gibt einen Unterschied zwischen Daten speichern und Daten erheben. Aus den Ausführungen des VG Köln ergibt sich nicht so recht, ob diese Unterscheidung dem VG Köln bewusst war.

Denn die Rechtsprechung des EuGH, dass Daten von Berufsgeheimnisträgern erst gar nicht gespeichert werden dürfen, ist eindeutig.

Es gäbe noch viel mehr zu anderen Punkten im Urteil zu sagen, aber dies würde diesen Rahmen endgültig sprengen. Und angesichts der klaren Fehler, die oben beschrieben wurden, kann hierfür, wie z.B. die wirtschaftliche Belastung der Provider durch die Speicherung durch einen Hinweis auf meine früheren Ausführungen genügen.

Wie geht es weiter?

Gegen diesen Beschluss im Eilverfahren hat der Bevollmächtigte der Fa. SpaceNet, Herr Prof. Bäcker von der Uni Mainz, bereits ein Rechtsmittel beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster eingelegt. Laut Medienberichten hält er den Beschluss des VG Köln für „nicht nachvollziehbar“. Auch er ist der Auffassung, dass nach dem Urteil des EuGH vom Dezember 2016 „kein vernünftiger Zweifel“ daran bestehen kann, dass die deutsche Vorratsdatenspeicherung gegen die EU-Grundrechte-Charta verstößt.

Er hofft auf eine Entscheidung vor Juli dieses Jahres. Denn zu diesem Zeitpunkt soll die Vorratsdatenspeicherung in Kraft treten.

Mehrere Verfassungsbeschwerden liegen beim BVerfG. Nach der Entscheidung des EuGH im Dezember 2016 gingen dort auch zwei Eilanträge ein. Wann diese entschieden werden ist nicht bekannt.

Sollte bis Juli keine Entscheidung ergehen, so dürfte dann jeder, der Telefon und Internet nutzt eine Klage gegen sein Telekomunternehmen einreichen können. Vielleicht würde dann ein Gericht dies dem EuGH zur Prüfung am Europarecht vorlegen.

Fazit

Es ist immer wieder erstaunlich welche sprachlichen und juristischen Klimmzüge erfolgen, um die VDS zu retten. Obwohl deren Wirkung bisher in keinster Weise nachgewiesen wurde.

Es wird nicht nur in Kauf genommen, dass die Verbindungsdaten jedes Bürgers beim Telefonieren und im Internet gespeichert werden und damit sein ganzes Leben nachvollziehbar wird. Nein es wird sehenden Auges in Kauf genommen, dass unschuldige Bürger in Ermittlungsverfahren verwickelt werden.

Nur sind wir hier nicht in einem autokratischen Staat, der mit seinen Bürgern macht was der Autokrat lustig findet. Nein, wir leben hier in einer liberalen Demokratie des Grundgesetzes und der Grundrechte-Charta der Europäischen Union. Und die lassen solches nun mal nicht zu.