Vorratsdatenspeicherung – Neues vom Europäischen Gerichtshof

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Kurz vor Weihnachten am 21.12.2016 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) wieder mal über die Vorratsdatenspeicherung geurteilt. Dieses Mal aufgrund gerichtlicher Anfragen aus Schweden und Großbritannien.

Inhalt der Entscheidung

Er hat dabei nochmals eindeutig klargestellt, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht.

Oder wie es in der vom EuGH herausgegebenen Pressemitteilung kurz und bündig heißt:

„Das Unionsrecht untersagt eine allgemeine und unterschiedslose Vorrats-speicherung von Verkehrs- und Standortdaten…“

Es stehe den Mitgliedstaaten aber frei, vorbeugend eine gezielte Vorratsspeicherung dieser Daten zum alleinigen Zweck der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen, sofern

  • eine solche Speicherung hinsichtlich der Kategorien von zu speichernden Daten,
  • der erfassten Kommunikationsmittel,
  • der betroffenen Personen
  • und der vorgesehenen Dauer der Speicherung auf das absolut Notwendige beschränkt ist.
  • Der Zugang der nationalen Behörden zu den auf Vorrat gespeicherten Daten muss von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, zu denen insbesondere
  • eine vorherige Kontrolle durch eine unabhängige Stelle
  • und die Vorratsspeicherung der Daten im Gebiet der Union gehören.

Der EuGH hält in der Entscheidung u.a. fest, dass aus der Gesamtheit der gespeicherten Daten sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Person gezogen werden können (s. dazu meinen Artikel vom 23.03.2014). Deshalb sei der mit der Speicherung verbundene Grundrechtseingriff besonders schwerwiegend.

Nur die Bekämpfung schwerer Straftaten könne deshalb einen solchen Eingriff rechtfertigen. Was unter schwere Straftaten fällt definiert der EuGH nicht.

Eine solche Regelung müsse insbesondere auf objektive Anknüpfungspunkte gestützt sein, die es ermöglichten diejenigen Personen zu erfassen, deren Daten geeignet sind, einen Zusammenhang mit schweren Straftaten aufzuweisen, zur Bekämpfung schwerer Straftaten beizutragen oder eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu verhindern.

Zum Zweck der Bekämpfung von Straftaten dürfe Zugang grundsätzlich nur zu Daten von Personen gewährt werden, die im Verdacht stehen, eine schwere Straftat zu planen, zu begehen oder begangen zu haben oder auf irgendeine Weise in eine solche Straftat verwickelt zu sein.

Allerdings könnte in besonderen Situationen, in denen vitale Interessen der nationalen Sicherheit, der Landesverteidigung oder der öffentlichen Sicherheit durch terroristischen Aktivitäten bedroht sind, der Zugang zu Daten anderer Personen ebenfalls gewährt werden, wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Daten im konkreten Fall einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung solcher Aktivitäten leisten könnten.

Außerdem muss der Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten grundsätzlich, außer in Eilfällen, einer vorherigen Kontrolle entweder durch ein Gericht oder eine unabhängige Stelle unterworfen werden. Außerdem müssen die zuständigen nationalen Behörden, denen Zugang zu den gespeicherten Daten gewährt wurde, die betroffenen Personen davon in Kenntnis setzen.

In Anbetracht der Menge an gespeicherten Daten, ihres sensiblen Charakters und der Gefahr eines unberechtigten Zugangs müsse die Regelung weiter vorsehen, dass die Daten im Gebiet der Union zu speichern sind und nach Ablauf ihrer Speicherungsfrist unwiderruflich zu vernichten sind.

Bedeutung der Entscheidung

Mit dem jetzigen Urteil schließt der EuGH an seine Entscheidung vom 08.04.2014 an. Damals erklärte er eine Richtlinie der EU für ungültig.

Der EuGH bestätigt jetzt, dass eine Speicherung prinzipiell möglich ist, diese sich aber auf das absolut Notwendige zu beschränken hat. Diese Beschränkung gilt bereits für die Speicherung, nicht erst für den Zugriff der Behörden. Dies ergibt sich für den EuGH daraus, dass aus den Daten Rückschlüsse auf das Leben der Nutzer gezogen werden können, diese also mit dem Gefühl der ständigen Überwachung leben müssten.

Folgen der Entscheidung

Den vorgenannten Kriterien entspricht die Ende 2015 in Deutschland in Kraft getretene Regelung zur Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten nicht.

Es ist deshalb abzusehen, dass das Bundesverfassungsgericht den anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen diese nationale Vorratsdatenspeicherung stattgeben wird.

Diese Meinung teilt auch der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages. Dieser hat in einem Gutachten festgehalten, dass die deutsche Regelung in mehrfacher Hinsicht gegen die Vorgaben des EuGH verstößt.

So sei nicht ausreichend definiert, was von wem gespeichert werden soll. Es wird weiter darauf hingewiesen, dass Personen ausgenommen sein müssen, die von Berufs wegen Geheimnisträger sind, wie Ärzte oder Rechtsanwälte.

Eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung, die mit den Kriterien des EuGH, die auf den Grundrechten der Bürger beruhen,  kompatibel wäre gibt es nicht, wie ich bereits früher konstatiert habe.

Möglich bleibt die Speicherung von Daten konkreter Verdächtiger.

Terroristen im Visier der Behörden

Viele der Attentäter von Brüssel, Paris oder nun vor Weihnachten in Berlin waren bereits im Visier der Behörden. Was hätte da eine flächendeckende Vorratsdatenspeicherung gebracht? Richtig, nichts.

So wurde in Berlin Herr Amri nicht lückenlos überwacht, sondern „anlassbezogen“. Was immer dies heißen mag. Im September 2016 wurde diese Überwachung beendet. Drei Wochen später wurde er als sog. „Foreign Fighter“ in einer Datenbank der Polizei erfasst. Diese Warnung wurde europaweit verbreitet.

Es gab Hinweise des marokkanischen Geheimdienstes.

Ich versage es mir zu spekulieren, weshalb auch in diesem Fall völlig dilettantisch verfahren wurde. Dass es der Polizei an den notwendigen Sachmitteln und Personal fehlt, habe ich schon oft erwähnt.

Sollen das Gesetze ändern, die noch mehr auszuwertende Daten den Polizisten vor die Füße schmeißen, die die erst auf Relevanz sortieren müssen? Wäre es nicht besser die Polizei in die Lage zu versetzen, die gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen? Das lässt sich natürlich nicht so schön öffentlichkeitswirksam verkaufen, wie neue Gesetze.

Und es ist natürlich einfacher Richterschelte zu betreiben statt sich in Kleinarbeit damit auseinanderzusetzen, was Polizei und Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen wirklich helfen könnte.