Netzpolitik.org, der Verfassungsschutz, der Generalbundesanwalt und ein Rücktritt

Am Donnerstag dieser Woche waren manche wie vom Donner gerührt als bekannt wurde, dass der Generalbundesanwalt, Herr Range, ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrat gegen zwei Mitarbeiter des Blog netzpolitik.org, die Herren Beckedahl und Meister, eingeleitet hat. Dem lag eine Strafanzeige des Bundesamtes für Verfassungsschutzes (BfV) zugrunde.

Sogleich wurden Vergleiche zur SPIEGEL-Affäre im Jahre 1962 gezogen. Und mehr oder weniger reflexhaft haben die üblichen Verdächtigen und einige andere den Rücktritt von Herrn Range gefordert.

Nach einigen Tagen der Überlegung und somit nicht aus der Hüfte schießend will ich diese Vorgänge beleuchten.

Was ist der Anlass der Strafanzeige?

Der Generalbundesanwalt hat mit Schreiben vom 24.07.2015 den vorgenannten Mitarbeitern von netzpolitik.org mitgeteilt, dass er ein Ermittlungsverfahren gegen sie eröffnet hat. Er ermittle wegen des Verdachts des Landesverrats. Es gehe um zwei Artikel. Einen vom 25.02.2015 mit der Überschrift „Geheimer Geldregen: Verfassungsschutz arbeitet an ‚Massenauswertung von Internetinhalten‘ (Updates)“. Zum anderen um einen Artikel vom 15.04.2015 mit dem Titel „Geheime Referatsgruppe: Wir präsentieren die neue Verfassungsschutz-Einheit zum Ausbau der Internet-Überwachung“.

Beim ersten Artikel ging es um einen Teil des Haushaltsplans des Bundesamtes für Verfassungsschutz und insbesondere um die Gewinnung von Informationen aus dem Internet. Details können in dem hier verlinkten Artikel nachgelesen werden.

Beim zweiten Artikel ging es um eine neue Einheit beim Bundesamt für Verfassungsschutz, die Erweiterte Fachunterstützung Internet. Details können ebenfalls in dem hier verlinkten Artikel nachgelesen werden.

In beiden Artikeln wird erwähnt, dass über diese Themen bereits im Jahre 2014, der Norddeutsche Rundfunk, der Westdeutsche Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung berichtet haben. Die Themen waren mithin nicht neu. Neu war, soweit bisher bekannt, nur, dass jetzt erstmals interne Dokumente des BfV ins Netz gestellt wurden.

Netzpolitik.org weist im ersten Artikel selbst darauf hin, dass der Haushalt des BfV als geheimhaltungsbedürftig eingestuft sei. Im zweiten Artikel wird darauf hingewiesen, dass das Konzept für das neue Referat als VS-vertraulich eingestuft sei.

Laut Medien erfolgte dann eine Strafanzeige durch das BfV.

Gem. weiteren Medienberichten sagte der Präsident des BfV, Herr Maaßen, dass sich die Strafanzeigen vom Frühjahr 2015 gegen Unbekannt gerichtet hätten. Um die Arbeitsfähigkeit seiner Behörde „im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus sicherzustellen“, sei es notwendig „gegen die Herausgabe von als vertraulich oder geheim eingestuften Dokumenten“ juristisch vorzugehen.

Der Text der Strafanzeigen scheint nicht bekannt zu sein. Der Generalbundesanwalt ermittelt nun gegen Unbekannt sowie namentlich die Herren Beckedahl und Meister.

Jedenfalls geht es um Landesverrat gem. § 94 Abs. 1 Nr. 2 StGB. § 94 StGB lautet wie folgt:

„(1) Wer ein Staatsgeheimnis

1. einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder

2. sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet, oder

2. durch die Tat die Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.“

Die Bekanntgabe an beide Beschuldigte erfolgte übrigens um die Verjährung zu unterbrechen.

Im Moment ruhen die Ermittlungen. Herr Range sagte der FAZ, er sehe mit „Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit“ von „nach der Strafprozessordnung möglichen Exekutivmaßnahmen ab“. Es sei nun zunächst die Frage zu klären, ob es sich bei den Veröffentlichungen um die Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses handele. Er wolle dazu ein externes Sachverständigengutachten einholen. Dies könne nur im Rahmen eines förmlichen Ermittlungsverfahrens erfolgen.

Bewertung

Fangen wir mit dem Ende an. Entgegen mancher missverständlichen Medienmeldung sind die Ermittlungen keineswegs eingestellt. Der Generalbundesanwalt sieht lediglich im Moment von weiteren Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder Beschlagnahmen (Exekutivmaßnahmen) von Computern ab.

Er holt erst mal ein Gutachten darüber ein was ein Staatsgeheimnis ist. Und ich glaubte immer die Auslegung des Strafgesetzbuches sei zunächst mal Sache der ermittelnden Behörden. Denn das Staatsgeheimnis ist definiert in § 93 StGB:

„(1) Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.

(2) Tatsachen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder unter Geheimhaltung gegenüber den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen, sind keine Staatsgeheimnisse.“

Zugegeben es wird schwer sein zu begründen welcher schwere Nachteil für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die Veröffentlichung eines Haushaltsplanes des BfV oder der Absicht Informationen aus dem Internet zu gewinnen bzw. von Unterlagen betreffend den Aufbau eines neuen Referates beim BfV entstehen können.

Aber dies scheint mir mehr eine Tatsachenfrage zu sein und weniger eine Rechtsfrage, die der Generalbundesanwalt wohl außerhalb seines Hauses (bei wem?) klären lassen möchte. Nein, dies wäre seine Sache gewesen dies festzustellen. Ggf. hätten das BfV oder das Innenministerium in Berlin zu erläutern gehabt worin die Gefahr des schweren Nachteils für die äußere Sicherheit liegt.

Und erst dann hätte er evtl. ein Ermittlungsverfahren gegen konkrete Personen einleiten können. Denn erst bei Bejahung dieser Frage hätte ein ausreichender Anfangsverdacht vorgelegen.

In Kommentaren zum Strafgesetzbuch wird die Gefahr des schweren Nachteils für die äußere Sicherheit damit umschrieben, dass die Veröffentlichung für die gesamte äußere Machtposition der Bundesrepublik Deutschland deutlich ins Gewicht fallen muss. Der Nachteil muss gerade deshalb drohen, weil eine andere Macht, die das Geheimnis bisher nicht kannte, es nun nutzt oder auswertet. Die Gefährdung besteht mithin in einer Verschiebung der allgemeinen Machtposition, die die Bundesrepublik Deutschland anfälliger gegen Angriffe macht.

Ich habe deshalb schon große Probleme darunter den Kampf gegen Terrorismus und Extremismus zu fassen, den der Präsident des BfV für den Grund seiner Strafanzeige nannte.

Für mich überhaupt nicht nachvollziehbar ist jedoch, dass dies durch Berichte erfolgt sein könnte, dass das BfV nun massenhaft Internetinhalte sammeln und auswerten will, oder dass Teile eines Haushaltsplanes veröffentlicht und darauf hingewiesen wurde, dass eine neue Abteilung für die Internetüberwachung geschaffen wurde.

Hinzu kommt, dass die Herren Meister und Beckedahl in der Absicht gehandelt haben müssten, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen. Den Vorwurf des Generalbundesanwalts zu Ende gedacht, müsste dies für jede Berichterstattung zu Überwachungsplänen und/oder Überwachungshandlungen von Geheimdiensten gelten. Diese wäre nicht mehr möglich. Aber genau dies könnte das wahre Motiv sein. Dass dies mit einem freiheitlichen Staat nicht vereinbar ist, ist dann erst mal nebensächlich.

Nein, es ist in meinen Augen offensichtlich, dass die Veröffentlichungen keinen Landesverrat im Sinne des § 94 StGB darstellen. Andererseits darf man fragen, weshalb die oben erwähnte Berichterstattung des Nord- und Westdeutschen Rundfunks sowie der Süddeutschen Zeitung ein Jahr zuvor keine Aktivitäten ausgelöst haben.

Man fragt sich was Herrn Range hier geritten hat, dies zu tun. Ich frage mich dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass er in den zahlreichen NSA-Fällen bei Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes (BND) nicht ermittelt. In diesen Fällen legt er vielmehr kunstvoll dar, weshalb die Ermittlungen ohnehin sinnlos wären. Aber dies ist ein anderes Thema.

Vorliegend ist die Ermittlung wegen Landesverrat wohl vor allem deshalb eingeleitet worden, weil andere Wege nicht mehr zur Verfügung stehen. So wurde im Jahre 2012 der § 353b StGB geändert, insbesondere ein Absatz 3a eingefügt. § 353b StGB lautet wie folgt:

“ § 353b Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht

(1) Wer ein Geheimnis, das ihm als
1. Amtsträger,
2. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder
3. Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht
wahrnimmt,
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Hat der Täter durch die Tat fahrlässig wichtige öffentliche Interessen gefährdet, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer, abgesehen von den Fällen des Absatzes 1, unbefugt einen Gegenstand oder eine Nachricht, zu deren Geheimhaltung er
1. auf Grund des Beschlusses eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines
Landes oder eines seiner Ausschüsse verpflichtet ist oder
2. von einer anderen amtlichen Stelle unter Hinweis auf die Strafbarkeit der
Verletzung der Geheimhaltungspflicht förmlich verpflichtet worden ist,
an einen anderen gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht und dadurch
wichtige öffentliche Interessen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren
oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(3a) Beihilfehandlungen einer in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung genannten Person sind nicht rechtswidrig, wenn sie sich auf die Entgegennahme, Auswertung oder Veröffentlichung des Geheimnisses oder des Gegenstandes oder der Nachricht, zu deren Geheimhaltung eine besondere Verpflichtung besteht, beschränken.
…“

Absatz 3a bezieht sich auf Journalisten, so dass diese anders als früher nicht mehr wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen verfolgt werden können. Ähnlich hatte sich bereits im Jahre 2007 das Bundesverfassungsgericht in der Cicero-Entscheidung geäußert.

Da blieb dann nur noch das Ausweichen auf ein Staatsgeheimnis mit der Folge des Landesverrats. Denn Anhaltspunkte wer die Infos an netzpolitik.org gegeben hat, konnte das BfV wohl nicht geben. Also hofft man diesen Informanten über den Umweg des Mediums, das veröffentlich hat zu finden.

Da der frühere Weg der Beihilfe zu einer Verletzung des Dienstgeheimnisses nicht mehr existiert musste man halt größere Geschütze auffahren. Und es wurde wohl beim Generalbundesanwalt sträflich unterschätzt was für Reaktionen dies in der Öffentlichkeit geben würde.

Jedenfalls ist die Einstufung des Vorgangs als Landesverrat vollkommen abwegig.

Reaktionen

Und hier kommen wir zu einem weiteren interessanten Kapitel.

Rücktrittsforderungen überall. Natürlich von den üblichen Verdächtigen der Linken, der linken SPD und Teilen der Grünen, aber auch von Herrn Kubicki von der FDP.

Bei vielen von Linke und SPD sind es die erwarteten pawlowschen Reaktionen. Diese können wir genauso vernachlässigen wie die Ausführungen unseres Justizministers, der leise Zweifel daran anmeldete, dass es sich um ein Staatsgeheimnis handelt. Wer die Vorratsdatenspeicherung will und sich auch ansonsten schon mehrfach als Feind der Freiheit outete, der sollte besser schweigen.

Herr Kubicki hat sich wie folgt geäußert: „Wenn der Generalbundesanwalt die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Pressefreiheit und zur Aufgabe von Journalisten nicht beachtet, dann ist er in seinem Amt eine Fehlbesetzung“.

Und was ist mit dem Schreiber dieser Zeilen? Meine erste Reaktion vor einigen Tagen war, wer denn damals, 1962 bei der SPIEGEL-Affäre wohl alles zurückgetreten ist. Als ich anfing diesen Artikel zu schreiben tendierte ich dahin einen Rücktritt nicht für angemessen zu halten.

Nachdem ich mich nun durch die einschlägigen Strafbestimmungen gearbeitet habe, sehe ich dies anders. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Landesverrats ist so weit weg vom Text des § 94 StGB, dass leider nichts anderes bleibt als zu erwarten, dass Herr Range zurücktritt.