TTIP, Frau Malmström und die Skeptiker

TTIP, ausgeschrieben Transatlantic Trade and Investment Partnership oder auf Deutsch Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Es ist in Deutschland starker Kritik ausgesetzt. Dabei geht es vor allem um folgende Punkte (oder Ängste):

– Unterschiedliche Standards, z.B. bei Umwelt, Verbraucherschutz, Arbeitsschutz,
– Privatisierung der Daseinsvorsorge (z.B. Trinkwasser, Abfall, Bildung, Personennahverkehr),
– Schiedsgerichte für Investitionsschutz,
– Transparenz der Verhandlungen

Das Land Baden-Württemberg hat einen TTIP-Beirat. Dieser tagte zu seiner zweiten Sitzung in Karlsruhe. Der Beirat besteht mehrheitlich aus TTIP-Skeptikern, um mal diesen Begriff aus der Klimadiskussion zu verwenden, was in Baden-Württemberg nicht weiter verwunderlich ist. Im zuhörenden Publikum war ich, wenn ich so die Beifalls- und Missfallensbekundungen in Betracht ziehe, vielleicht der einzige, der nicht zu den Unterstützern der Skeptiker zählte.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström (l.) und Minister Peter Friedrich (r.)  Quelle: Staatsministerium Baden-Württemberg

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström (l.) und Minister Peter Friedrich (r.)
Quelle: Staatsministerium Baden-Württemberg

Eingeladen war die zuständige Handelskommissarin der EU, Frau Malmström. Sie gab einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen zwischen den USA und der EU. Danach gibt es eine derart kontroverse Debatte in Europa nur in Deutschland. In allen anderen Ländern sprechen sich deutliche Mehrheiten für das Abkommen aus.

Sie ging zunächst auf die Ängste ein, dass die europäischen Standards z.B. bei Umwelt, Gesundheit oder Verbraucherschutz relativiert werden. Sie betonte es werde kein Absenken („lowering“) geben. Regulierungen seien auch weiterhin möglich.

Es gehe vor allem um technische Regulierungen, nicht zuletzt bei Produkttests. So gebe es z.B. bei der Entflammbarkeit von Textilien in Details unterschiedliche Tests in den USA und der EU. Diese führten zwar zum selben Ergebnis, wegen der unterschiedlichen Details müssten sie aber für eine Marktzulassung in den USA und der EU jeweils getrennt durchgeführt werden. Mit entsprechenden doppelten Kosten.

Zum Thema Transparenz betonte sie, dass die Kommission vor jeder Verhandlungsrunde mit den Regierungen der Mitgliedstaaten und dem Europaparlament spricht. Diese erhielten die Verhandlungvorbereitungen und die konsolidierten Texte. Demnächst sollen diese auch den nationalen Parlamenten zugänglich gemacht werden.

Bei den Schiedsgerichten erläuterte sie das von ihr vorgeschlagene neue System Dies soll aus unabhängigen Richtern bestehen.

Es sei auch nicht vorgesehen die Kommunen zu Privatisierungen in der Daseinsvorsorge (z.B. Trinkwasser, Abfall) zu zwingen.

Man habe sich inzwischen entschlossen ein Kapitel über nachhaltige Entwicklung in den Vertrag einzufügen.

Als wesentlich wies sie darauf hin, dass die großen Konzerne TTIP nicht benötigen. Diese haben genug Ressourcen um die verschiedenen Rechtsordnungen und Standards zu bewältigen, sowohl in personeller als auch in finanzieller Hinsicht. Ganz anders sei dies aber bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die z.B. nicht die finanziellen Ressourcen haben um verschiedene Tests für die USA und die EU durchzuführen. Deshalb sollen die KMU ebenfalls ein eigenes Kapitel im Vertrag erhalten.

Die nächste Verhandlungsrunde ist im Februar. Der Abschluss soll möglichst noch in diesem Jahr in der verbleibenden Amtszeit von Präsident Obama sein. Eine Zustimmung mache sie jedoch davon abhängig, dass es eine gute Vereinbarung für die EU ist.

Der Europaminister Baden-Württembergs, Herr Friedrich, konzedierte, dass es Verbesserungen in vielen Punkten gibt. Der Umweltminister Baden-Württembergs, Herr Bonde, begann sein Statement mit einem Plagiat des früheren Außenministers, Herrn Fischer, „I’m not convinced“ (ich bin nicht überzeugt), wofür er viel pawlowschen Beifall erhielt. Man sei natürlich interessiert an einem Abkommen, aber er ließ deutlich durchblicken, dass er z.B. ein Klagerecht der Konzerne vor einem Schiedsgericht für böse hält.

Von den Teilnehmern wurden u.a. angesprochen die Kernarbeitsnormen der ILO, der internationalen Arbeitsorganisation, die Frage, ob es Anti-Korrputionsregelungen geben soll.

Viel diskutiert auch die Frage von Negativ- oder Positivlisten, wobei die meisten Teilnehmer sich für Positivlisten aussprachen. Das heißt für eine Liste was unter das Abkommen fällt und gegen eine Negativliste, die nur auflisten würde was nicht darunterfällt. Die meisten hatten Sorge, dass zukünftige Dinge, die man heute noch nicht kennt, dann automatisch unter das Abkommen fallen.

Der Bereich der Kultur und die Subventionen für diese in Deutschland, was man in den USA so nicht kennt, waren ein wichtiges Thema. Ebenso die Bildung.

Allgemein wurden die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe, die das Abkommen enthalten soll, kritisiert.

Die soziale Marktwirtschaft würde stark beeinträchtigt. Insbesondere durch Marktzugangsverpflichtungen.

Es ging weiter um Verbraucherstandards, das Vorsorgeprinzip in Europa oder den Datenschutz.

Frau Malmström wiederholte nochmals, dass es keine Absenkung der europäischen Standards geben wird. Auch die USA hätten hohe Standards. Es werde z.B. kein Hormonfleisch nach Europa kommen, genmanipulierte Nahrungsmittel teste weiter die EFSA, die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit.

Ohne Investitionsschutz gebe es Nachteile für europäische Unternehmen. Es sollen unabhängige Richter bei dem zuständigen Gericht handeln. In ihrem Entwurf sei auch enthalten an Hand welcher Kriterien die Richter zu entscheiden hätten. Ob die USA ihren Vorschlägen zustimmen werden, kann sie noch nicht sagen („we will see“). Ziel sei auf jeden Fall ein International Investing Court, ein internationales Gericht für Investitionsschutz, das auch für andere Handelsabkommen zuständig sei.

Sie plädiere für Negativlisten. Dabei sei kristallklar, dass die Daseinsvorsorge nicht unter das Abkommen fällt.

TTIP verhindere auch keine Subventionen für Theater, Oper und anderes. Bildung bleibe weiter Sache der Nationalstaaten. Kultur könne nicht exakt definiert werden. Es werde aber jedenfalls nicht möglich sein z.B. die Buchpreisbindung infrage zu stellen.

Zur Korruption werde auf Wunsch der USA ein gesondertes Kapitel eingefügt.

Die US-Papiere könne sie natürlich nicht veröffentlichen, dies wäre illegal.

Datenschutz werde nicht in TTIP geregelt.

Frau Malmström musste dann die Sitzung verlassen. Eine einzelne Teilnehmerin meinte sich mit Buh-Rufen hervortun zu müssen.

Nun folgten noch zwei Vorträge zum Punkt Daseinsvorsorge, aus der Sicht der Kommunen und aus der Sicht des Bundesrates.

Die Vertreterin der Kommunen legte nochmals Wert darauf, dass die Daseinsvorsorge nicht unter das Abkommen fallen dürfe. Und auch die Rekommunalisierung, d.h. die Übernahme von Aufgaben durch die Gemeinde, die bereits privatisiert worden sind, müsse möglich bleiben.

Ihr sei im übrigen das von Frau Malmström angedachte Gericht deutlich lieber als eine amerikanische Geschworenen-Jury.

Der Vertreter des Bundesrates, ein Ministerialbeamter aus Rheinland-Pfalz (Beauftragter des Bundesrates im Handelspolitischen Ausschuss beim Europäischen Rat in Brüssel) wies darauf hin, dass man es mit einer neuen Generation von Freihandelsabkommen zu tun habe. Diese sei nicht kompatibel mit der sozialen Marktwirtschaft.

Es gebe einen Beschluss des Bundesrates, dass der Status Quo des früheren GATS-Abkommen erhalten werden müsse. Liberalisierung schien er per se als böse anzusehen. So verpflichte Art. 19 des GATS-Abkommen zu weiterer Liberalisierung. Es sein ein Glück, dass es dazu bisher nicht gekommen sei.

In der anschließen Diskussion ging es nochmals darum, dass TTIP die Möglichkeiten von Regulierungen einschränke. Soziale Marktwirtschaft sei demokratiekonform. Mit TTIP solle die Demokratie wirtschaftskonform werden. Jegliche Liberalisierung wurde als schlecht betrachtet.

Tja, es gab auch wenige Mitglieder des Beirats, die pro TTIP sprechen wollten. Aber außer Allgemeinplätzen kam da nichts.

Interessant war, dass von den TTIP-Skeptikern die von ihnen thematisierte regulatorische Kooperation nicht gegenüber Frau Malmström angesprochen wurde, sondern erst hinterher als Frau Malmström weg war. Interessant vor allem deshalb, weil diese Kooperation es angeblich ermöglicht in der Zukunft Vereinbarungen unter Umgehung der Parlamente zu treffen bzw. die Parlamente daran hindern würde bestimmte Bereich (Umwelt, Verbraucherschutz etc.) zu regulieren.

Fazit

Frau Malmström hat die Knackpunkte des angestrebten Abkommens gut dargestellt. Sie hat auch klar gemacht, was mit Europa nicht zu machen ist.

Die TTIP-Gegner hatten ihre Anhänger gut eingestellt. Klar wurde, dass sie jegliche Liberalisierung strikt ablehnen, alles Heil vom Staat erwarten. Und bei ihrer Definition von Sozialer Marktwirtschaft würde sich Ludwig Erhard im Grab umdrehen, wenn er es hören könnte.

Dies war teilweise sogar der Vertreterin der Kommunen zu viel, die zu Recht fragte, wie kritisch oder misstrauisch man sein müsse.

Wobei ich persönlich nicht glaube, dass es wirklich um Kritik oder Misstrauen geht. Es geht hier um Fundamentalopposition gegen liberale Vorstellungen. Im Endeffekt geht es um Freiheit oder Bevormundung und nicht zuletzt um Antiamerikanismus.

Ich hatte das Glück neben einigen Hard-Core-Skeptikern zu sitzen. Es war interessant wie sie sich mit ihrem Halbwissen über die USA und wer denn nun die EU wirklich steuere bereits vor der Veranstaltung in Rage redeten.

Und es war erschreckend wie wenig die potentiellen TTIP-Befürworter im Beirat (als Publikum konnte ich mich nicht beteiligen) den Gegnern argumentativ das Feld überließen. Kein Wunder, wenn es mit der Freiheit bergab geht.