Juncker rücktrittsreif? (10.11.2014)

Luxemburg schließt angeblich mit multinationalen Firmen geheime Abkommen über deren Steuerzahlung, sog. tax rulings. Diese führten zu Steuersätzen von teilweise unter einem Prozent.

Der Leiter der Steuerabteilung „Sociétés 6“, Herr Marius Kohl soll bis zu 54 Verfahren an einem Tag entschieden haben.

Nun wird Herr Kohl dies nicht allein sich ausgedacht haben. Man fragt sich unwillkürlich wie weit wusste der Premierminister, Herr Juncker, darüber Bescheid. Zumal Herr Juncker nicht nur Premier in Personalunion, sondern auch Finanzminister seines Landes war.

Heute werden in Luxemburg ca. drei Billionen EURO an Vermögen verwaltet, es ist nach den USA das größte Investmentzentrum der Welt. Und dies hat natürlich mit den Steuern zu tun.

Ca. 28.000 Seiten geheimer Steuerdokumente wurden von ca. 80 Journalisten aus 26 Ländern gesichtet. Die Koordination erfolgte durch das ICIJ (Consortium of Investigative Journalists). Dieses hat inzwischen knapp 550 Steuerdokumente auf seiner Webseite, www.icij.org, veröffentlicht.

Beispiel Eon:

Der Energieversorger Eon gab Milliardenbeträge von Luxemburg an andere Tochterunternehmen, meist als sog. konzerninterne Darlehen. Die Gewinne aus jenen Ländern gingen als Zinsen nach Luxemburg. Dort mussten kaum Steuern bezahlt werden.

Drehscheibe dabei ist die Luxemburger Tochter Dutchdelta. Und es stellt sich die Frage wie eigenständig ist diese Tochter oder wird sie allein aus der Konzernzentrale in Düsseldorf gesteuert. Dann könnten die Zinsgewinne aus den Darlehen in Deutschland zu versteuern sein.

In einem Brief von PwC wird eine interne Umstrukturierung dargestellt, mit der verschiedene konzerninterne Darlehen verbunden sind. Diese werden teils aus Luxemburg, teils von einer anderen Tochter auf Malta vergeben. Es geht teilweise um Milliardenbeträge. In Luxemburg und Malta fallen kaum Steuern auf die bezahlten Zinsen an, anders wäre es in Deutschland. Zugleich können aber die empfangenden Tochterfirmen die Zinsen vollständig als Betriebsausgaben geltend machen.

Trotz den Milliardendarlehen und entsprechenden Zinsgewinnen zahlte Dutchdelta in 2009 ca. 38.000 EURO und 2010 ca. 38.500 EURO an Steuern, dies entspricht einem Steuersatz von knapp 0,1 Prozent.

Und deshalb stellt sich die Frage, ist Dutchdelta nur eine Briefkastenfirma? Selbst nach Luxemburger Recht müssen die wesentlichen Entscheidungen in Luxemburg getroffen werden. Die Mehrheit der Manager oder Verwaltungsräte muss aus Luxemburg kommen oder dort geschäftlich tätig sein.

Nach den bekannten Unterlagen hat Durchdelta zeitweise zwei Luxemburger Verwaltungsräte gehabt, aber keinen Angestellten. In der Bilanz ist von „null Angestellten“ die Rede.

Es wird berichtet, dass bei Fragen nach Dutchdelta Reporter bereits über die Sprechanlage nach Deutschland verwiesen wurden.

Im selben Stock wie Dutchdelta residiert unter anderem eine Fa. Intruma. Diese hat sich auf sog. Hilfsdienste für internationale Firmen spezialisiert, die Geschäfte über Luxemburg abwickeln.

Vermieter des Stockwerks an Durchdelta ist eine Tochterfirma von Intruma. Zwei Firmengründer von Intruma, die früher im Briefkastengeschäft aktiv waren sitzen im Verwaltungsrat der Dutchdelta. Kaum vorstellbar, dass die beiden über Milliardendeals im Energiegeschäft entscheiden. Mit im Verwaltungsrat sitzt Herr Hloch, Vizepräsident der Group Treasury bei Eon und Prokurist der Eon Finanzanlagen GmbH. Letztere besitzt 100 Prozent der Anteile an Dutchdelta.

Laut Eon sind alle Entscheidungen in Luxemburg getroffen worden. Telefonisch wurde den Journalisten von Durchdelta mitgeteilt, dass komplizierte Post aus Düsseldorf beantwortet würde. Eon behauptet das Gegenteil.

Beispiel Deutsche Bank:

Am 22.02.2006 legte PwC im Auftrag der Bank zwei komplexe Fondsmodelle für internationale Immobiliengeschäfte den Finanzbehörden vor. Es war vorgesehen, dass Geld aus Übersee via Luxemburg oder Malta in europäische Staaten wie Deutschland oder Italien fließen soll. Damit sollten Kaufhäuser oder Bürogebäude erworben werden.

Logischerweise sollten die Gewinne hieraus an die Anleger zurückfließen. Um dabei möglichst wenige Steuern anfallen zu lassen, wurden dutzende Firmen in Luxemburg und auf Malta gegründet.

Teilweise sind diese Strukturen über Handelsregister-Einträge nicht nachvollziehbar. Das maltesische Register weist zu einigen Gesellschaften folgenden Eintrag aus: „Es gibt keine Informationen bezüglich der Anteilseigner“.

Unter den Kapitalgebern sollen u.a. Pensionsfonds sein, die ihren Kapitalstock mehren, aber keine Steuern bezahlen wollen. In dem Antrag von PwC ist jedoch auch die Rede von „Offshore-Investoren“. Dies sind Kapitalanleger, die ihr Geld in Steueroasen halten.

Man muss dazu nicht nur an Steuervermeidung denken. Da fallen mir ad-hoc noch ganz andere Gesellen ein, die es nötig haben ihr Geld zu verstecken.

Für die Luxemburger Behörden aber kein Problem. Bereits nach 12 Tagen am 06.03.2006 erfolgte die Genehmigung der Modelle durch Herrn Kohl.

Eine der Konstruktionen begann auf den Cayman Islands und führt via Malta nach Luxemburg. Von dort wurden Darlehen für Immobilienprojekte in andere Länder über weitere Gesellschaften vergeben. Die Zinsen gehen nach Luxemburg und sind in dem Land, in dem die Immobilie steht steuerfrei.

Die von Caymans Island über Malta gewährten Kredite werden von den Behörden in Luxemburg als Verschuldung anerkannt und somit steuerlich berücksichtigt. Ergebnis ist, dass die Gesellschaften in Luxemburg oftmals nur 0,25 % Steuern auf die Gewinne bezahlen müssen.

Beispiel Amazon:

Lizenzgebühren fallen u.a. bei Amazon an, das seine europäischen Geschäfte über Luxemburg steuert. So zahlte die Zentrale im Jahre 2009 Lizenzgebühren von mehr als 519 Mio. EURO. Damit konnte der Gewinn gegen Null gerechnet werden, während gleichzeitig eine andere Amazontochter 519 Mio. EURO an Lizenzgebühren bekam.

Seit 2007 gibt es ein Gesetz in Luxemburg, dass Gewinn aus geistigem Eigentum zu 80 Prozent von der Steuer befreit.

Zwei Reporter des Wall Street Journals berichten von dem oben genannten Herrn Kohl wie er prüfte, ob Lizenzgebühren angemessen sind. Er befeuchtete einen Finger und hielt diesen hoch und meinte „es gab keinen Weg das zu verifizieren“.

Herr Kohl soll gesagt haben, dass es nie ein Problem mit Herrn Juncker gab. Anfragen in diesem Zusammenhang von der Süddeutschen Zeitung ließ er ebenso unbeantwortet wie PwC. PwC ließ lediglich mitteilen, dass man sich stets an alle Gesetze halte.

Luxemburg lässt gegenwärtig verlauten, dass seine Steuerregelungen „europarechtlich einwandfrei“ seien.

Dabei liegt die reguläre Unternehmensteuer in Luxemburg bei ca. 29 Prozent.

Schlussfolgerung:

Mag sein, dass es nach Luxemburger Recht legal ist, aber schon bei Anwendung des EU-Beihilferechts habe ich erhebliche Zweifel. Jedenfalls sollte man vielleicht klarstellen, dass es keine geheimen Abkommen gibt. Es gibt Anträge, zu denen die Finanzbehörden in Luxemburg entschieden, dass die in den Anträgen vorgestellten Modelle nicht gegen Rechtsvorschriften in Luxemburg verstießen. Dies dürfte den Anfragen in Deutschland an das Finanzamt entsprechen, wenn man eine verbindliche Auskunft über einen bestimmten Sachverhalt haben möchte.

Wieso ist mir trotzdem unwohl?

Vielleicht, weil nur bestimmte Steuerbürger sich derart komplexe Konstruktionen leisten können, um ihre Steuerlast zu drücken? Es stellt sich die Frage, ob alle von der Steuer gleichbehandelt werden.

Vielleicht, weil Luxemburg die Konstruktionen nicht wirklich nachgeprüft hat? Die Kürze der Entscheidungszeit und die Tatsache, dass manche Nachprüfung schlicht am maltesischen Handelsregister scheitert macht mir Kopfschmerzen.

Vielleicht, weil die Genehmigung solcher Dinge nicht mit den Sonntagsreden, z.B. von Herrn Juncker, übereinstimmt?

Zwei Zitate von Herrn Juncker:

„Einzelne Mitgliedstaaten stellen ohne Rücksicht auf den gesamteuropäischen Kontext brutal, auf Kosten der EU und der Nachbarländer, ihre eigenen Interessen in den Mittelpunkt.“

„Ich habe langsam die Nase voll. Es werden zu 80 Prozent die nationalen Standpunkte dargestellt. Es geht nicht, dass wir so weitermachen.“

Diese Zitate von 2005 und 2012 (Spiegel, Nr. 46/2014 vom 10.11.2014) sagen das Gegenteil von dem aus, was in Luxemburg gemacht wurde. Dass dies in anderen Staaten ebenfalls vorkommt macht die Sache nicht besser.

Ganz profan stellt sich weiter die Frage, ob die Steuerkonstruktionen nicht eine nach EU-Recht verbotene Beihilfe darstellen. Die Kommission ist mit der Sache befasst.

Es wäre deshalb merkwürdig, wenn Herr Juncker weiter der Chef der Kommission bliebe.