Ungarn – die vergessenen Rechtspopulisten? (08.06.2014)

Nach den Europawahlen liest man allenthalben von einem Rechtsruck in Europa, von ach so gefährlichen Rechtspopulisten oder wie die Wortwahl auch immer ist. Aber ich lese fast immer nur von den Entwicklungen im Westteil der Europäischen Union. Manche Länder, wie Ungarn, werden nahezu in allen Berichten ausgeblendet. Mich beschleicht manchmal das Gefühl die alte EU beschäftigt sich noch immer mit sich selbst und nimmt den Ostteil nur punktuell wahr.

Bei den Parlamentswahlen in Ungarn im April dieses Jahres hat die Fidesz von Herrn Orban, dem Premierminister, zwar nur noch 44 Prozent der Stimmen erhalten, nach 52 Prozent im Jahre 2010. Ein neues Wahlrecht, bei dem die Direktkandidaten eine größere Rolle als früher einnehmen, hat jedoch dazu beigetragen, dass sie trotzdem eine Zweidrittelmehrheit der Sitze im Parlament hat.

Angemerkt sei, dass die rechtsextreme Partei Jobbik ihr Ergebnis von 17 auf 21 Prozent verbesserte. Nachdem sie bisher vor allem in den ärmeren Gebieten in Ostungarn präsent war, hat sie dieses Mal auch in Westungarn Erfolg gehabt. Allerdings hat sie nicht einen Direktkandidaten durchgebracht.

Und wie sah es nun bei den Europawahlen aus? Hier haben die Fidesz 51 % und Jobbik 14,7 % erreicht. Allerdings betrug die Wahlbeteiligung gerade mal 28 % (die Quellen differieren um ca. 2 %).

Nach der Wahl 2010 hatte die ungarische Regierung unter Herrn Orban zunächst Sozialleistungen gestrichen und das Vermögen der privaten Rentenkassen verstaatlicht um Schulden abzubauen sowie gleichzeitig Steuern erhöht, u.a. die Mehrwertsteuer auf 27 %. Rechtzeitig zur Wahl wurden wieder Sozialmaßnahmen eingeführt, u.a. gab es den sog. „Nebenkostenkampf“, mit dem Versorgungsunternehmen gezwungen wurden die Preise für Gas, Strom und Wasser zu senken. Ob dies gut gehen wird, scheint eher zweifelhaft.

Dies wurde auch als Maßnahme gegen die Profitgier ausländischer Konzerne verkauft. Angestrebt wird nun den Bankensektor zumindest zur Hälfte wieder in ungarischer Hand zu haben. Internationale Konzerne sollen keine „ungerechtfertigten Zwischengewinne“ mehr machen dürfen. Ziel ist ein „Ungarn als ungarisches Land und der ungarischen Menschen“. Dies klingt im 21. Jahrhundert schon etwas seltsam.

Dass der Sonderbeauftragt für Kulturfragen, Herr Imre Kerényi, bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Christlichen Theaterfestivals in Budapest gegen Homosexuelle wütet, wundert einen dann schon nicht mehr. Er äußerte, es müsse der „Kampf mit der Lobby der Schwuchteln“ aufgenommen werden. Diese habe die „gesamte internationale Opern- und Filmwelt, überhaupt alles, durchdrungen“. Ihr ginge es nur darum, christliche Werte „zu bespucken und alles in Zweifel zu ziehen“. In Ungarn gebe es „ein Wollschwein-, ein Judenfestival und alle möglichen Frühlingsfestivals“, doch Ungarn und Europa müssten sich endlich mit „christlichen Festivals vor schädlichen Einflüssen verteidigen“.

Herr Orban, der Premierminister, hat sich dazu nicht geäußert. Dafür hat er nach seiner neuerlichen Vereidigung zum Premier die Autonomie der ungarischen Minderheit in der Ukraine gefordert.

Dies passt zu seinen früheren Äußerungen gegen den Vertrag von Trianon im Jahre 1920. In diesem wurde Ungarn auf seine heutige Größe reduziert. Seitdem leben ungarische Minderheiten in Rumänien, Serbien, der Slowakei und der Ukraine.

Es wurden bereits Reisepässe an Ungarn in der Slowakei verteilt. Herr Orban bezeichnet sich gerne als Premier aller Ungarn, auch außerhalb der Staatsgrenzen von Ungarn. Irgendwie erinnert mich dies an die Herren Erdogan und Putin.

Und zu allem schweigt die Europäische Union. Nur wenige Medien berichten, die anderen Mitgliedstaaten nehmen keine Stellung, allenfalls die Kommission in Brüssel gibt ab und zu laut, aber auch nur wenn das Recht der EU besonders heftig verletzt wird.

Und nun holt Herr Orban wohl zum finalen Schlag gegen unabhängige Medien aus. Es gibt einen Plan zur Erhebung einer Sondersteuer bei den Medien, zusätzlich zu den ohnehin üblichen Steuern. Und zwar sollen Werbeeinnahmen nach dem Umsatz besteuert werden. Steuerfrei wären Werbeumsätze unter 500 Millionen Forint (rund 1,6 Millionen Euro), dann nach Umsatz gestaffelte Steuersätze von 10 bis 30 Prozent und ab einem Werbeumsatz von 50 Milliarden Forint (rund 65 Millionen Euro) 40 Prozent Steuern. Wohlgemerkt vom Umsatz, nicht vom Gewinn.

Von diesem Höchstsatz wären zwei Fernsehsender betroffen, u.a. RTL Klub, der bisher nicht von der Regierung kontrolliert wird. Auch kleinere Fernseh- und Radiostationen, beispielsweise ATV, Ungarns einziges unabhängiges News-TV, würden durch die geplante Steuer wohl in große wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.

Offensichtlich sollen kritische Medien vollends ins Aus getrieben werden. Dabei haben sie ohnehin schon viele Werbekunden verloren, weil diese fürchten keine staatlichen Aufträge mehr zu erhalten, wenn sie in Medien werben, die der Regierung kritisch gegenüber stehen.

Was Herr Orban wohl nicht erwartet hatte, ist jedoch eingetreten. Nahezu alle Medien in Ungarn, auch die regierungsfreundlichen protestierten heftig gegen diesen Gesetzesentwurf. Zahlreiche Radio- und Fernsehsender stellten am 05.06.2014 den Sendebetrieb für 15 Minuten ein oder verlasen Protesterklärungen. Zahlreiche Online-Portale erschienen mit einer schwarzen Seite, Zeitungen am 06.06.2014 mit weißen Seiten.

Die bisher regierungstreue Zeitung „Magyar Nemzet“ (Ungarische Nation) erschien mit dem Satz „Jetzt geht die Regierung der Pressefreiheit in Ungarn an die Gurgel.“ Dem Protest hatten sich weiter die konservativen und für ihre Regierungspropaganda bekannten Sender HirTV und Lanchid Radio angeschlossen.

Und auch hier sind mir keine Stellungnahmen der sonstigen EU-Mitgliedstaaten oder der Kommission bekannt.

Es wird zugesehen wie versucht wird ein freiheitliches Land in ein autokratisches und nationalistisches System zu überführen. Es wird Zeter und Mordio geschrien, wenn dies Herr Erdogan in einem Land mit einer anderen Religion versucht. Auch bei Herrn Putin blieb es lange Zeit seltsam ruhig bis dieser begann sich an der Ukraine zu vergreifen.

Innerhalb der eigenen Familie will in der EU aber wohl niemand wirklich Tacheles reden. Hierfür könnte es zwei Erklärungen geben:

Zum einen scheint es noch eine große Kluft zwischen den alten Staaten und denjenigen, die mit der Osterweiterung im Jahre 2004 beigetreten sind, zu geben, obwohl dies eine Erfolgsgeschichte für diese Länder, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht, war. Ich werde das Gefühl nicht los, dass diese Länder immer noch als die armen Verwandten angesehen werden.

Zum anderen versucht man diese Ansätze von Nationalismus und Intoleranz totzuschweigen statt sich offensiv damit auseinanderzusetzen. Dies gilt ja genauso für die populistischen Bewegungen in den alten Ländern der EU.

Dass die Partei von Herrn Orban, die Fidesz, Mitglied in der Fraktion der EVP (Europäische Volkspartei) ist, in der auch die CDU von Frau Merkel und deren Vorsitzender nun ein Herr Manfred Weber von der CSU ist, ist unverständlich. Hier geht es wohl nur darum die größte Fraktion im Europaparlament zu bleiben.

Und dieser Machterhalt ist wichtiger als die Botschaft von Frieden, Freiheit und Wohlstand, die die EU ausmacht. Diesem Machterhalt opfert man diese Werte und wundert sich, wenn in den westlichen Ländern ebenfalls populistische Bewegungen Aufwind bekommen, denen diese Werte nichts gelten.