9. November 1923, Ellen Ammann eine vergessene Kämpferin für die Freiheit (10.11.2013)

Der 09.11., der Schicksalstag Deutschlands, z.B. die Ermordung Robert Blums 1848, der versuchte Hitlerputsch 1923, das Pogrom 1938 sowie der Mauerfall 1989.

Lassen Sie mich ein vergessenes Kapitel in Erinnerung rufen.

Am 09.11.1923 wurde der versuchte Putsch Adolf Hitlers von der Bayerischen Landespolizei mit Waffengewalt beendet. Eine Frau jedoch, der es wesentlich zu verdanken war, dass dies geschah wird in der Geschichtsschreibung gerne vergessen (es fallen einem noch mehr Frauen ein, die gerne vergessen werden, nicht nur in der Politik, auch in der Wissenschaft, aber dies wäre ein gesondertes Thema). Es war Frau Ellen Ammann.

Ellen Ammann erfuhr von den Putschplänen am 08.11.1923 und setzte umgehend die Mitglieder der Bayerischen Regierung sowie die Führung der Bayerischen Volkspartei in Kenntnis, soweit diese von den Putschisten nicht bereits ihrer Freiheit beraubt worden waren (bei einer Veranstaltung im Bürgerbräukeller hatte Hitler nicht nur mit einer Pistole in die Decke geschossen, sondern auch Kabinettsmitglieder festsetzen lassen). Den stellvertretenden Ministerpräsidenten, Herrn Matt, hat einer ihrer Söhne per Fahrrad unterrichtet.

Auf ihre Veranlassung hin traf man sich in der von ihr gegründeten Frauenschule und fertigte eine Regierungserklärung, in der der Putsch zum Staatsverbrechen erklärt wurde. Frau Ammann trug Sorge für die Verlegung von Einheiten der Reichswehr nach München und dafür, dass die Regierung nach Regensburg sich in Sicherheit bringen konnte. Von dort aus erteilte Herr Matt für den Fall einer gewaltsamen Weiterung des Putschversuches der Polizei den Befehl zur Gewaltanwendung gegen die Putschisten. Das Ende ist bekannt, nicht zuletzt, dass Hitler feige in einem Sanitätswagen floh.

Ellen Aurora Elisabeth Morgenröte Ammann war 1870 in Stockholm geboren worden, heiratete 1890 einen Münchner Orthopäden und zog nach Bayern. Sie wurde in München zur Wegbereiterin der modernen Sozialarbeit. So gründete sie u.a. 1897 die erste katholische Bahnhofsmission Deutschlands in München. Mädchen vom Land, die in der Stadt Arbeit suchten, sollten hier Hilfe finden und vor den Zugriffen des damals blühenden Mädchenhandels geschützt werden.

1909 gründete sie die „Soziale und Caritative Frauenschule“, in der sich während des Hitlerputsches die Regierung versammelte. Die Idee war Frauen für die Übernahme sozialer und caritativer Aufgaben professionell auszubilden.

Auch wegen dieses Einsatzes wurde Ammann als Abgeordnete der Bayerischen Volkspartei in jeden bayerischen Landtag nach 1918 gewählt.

Bereits im Frühjahr 1923 hatte sie sich für eine Ausweisung des Österreichers Adolf Hitler eingesetzt, wenn auch ohne Erfolg. Anlass war, dass SA-Mitglieder einem Andersdenkenden ein Auge ausgeschlagen hatten.

In den Geschichtsbüchern taucht ihr Name eher selten auf. Sabine Schalm, die Kuratorin des neuen Münchner NS-Dokumentationszentrums, das Ende 2014 eröffnet werden soll, sieht darin einen „ganz klaren Gender-Aspekt“, ebenso die Historikerin Gerlinde Wosgien vom Katholischen Deutschen Frauenbund: In einer von Männern geschriebenen Geschichte sei Frauen keine Rolle zugewiesen worden.

Dies ist sicher ein Aspekt. Ein, in meinen Augen wichtigerer, ist, dass plakative Dinge wie gewalttätige Auseinandersetzungen, hier die Gewaltanwendung durch die Polizei mittels Maschinengewehren (eine Kanone führte man auch mit sich), sich natürlich besser und einfacher beschreiben lassen, als die Wirkung von Telefonanrufen und Sitzungen. Aber auch ansonsten hat die Forschung aufgrund der monströsen Ereignisse ab 1933 die frühen Verteidiger der Freiheit in den Jahren davor etwas aus dem Blick verloren.

Daran beginnt sich aber nun etwas zu ändern. Das bereits genannte NS-Dokumentationszentrum zählt Frau Ammann zu den frühen Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus, ebenso das Haus der Bayerischen Geschichte in Augsburg: In seinem im kommenden Monat erscheinenden Sonderheft „Rebellen, Visionäre Demokraten“ wird Frau Ammanns Biografie ihren Platz finden. Der Bayerische Landesverband des Katholischen Deutschen Frauenbundes verleiht seit diesem Jahr den Ellen-Ammann-Preis.

Nicht vergessen jedoch hatten sie die Nazis. 1933 sollte eine Biografie über Frau Ammann erscheinen. Die Nazis ließen die bereits gedruckten 60.000 Exemplare einstampfen.

Frau Ammann starb am 23.11.1932 im Alter von 62 Jahren an einem Gehirnschlag und erlebte somit die Machtergreifung der Nazis nicht mehr.