Nadeschda Tolokonnikowa ist verschwunden (03.11.2013)

Frau Tolokonnikowa ist Mitglieder von Pussy Riot, einer 2011 gegründeten feministischen, regierungs- und kirchenkritischen Punkrock-Band aus Moskau. Pussy Riot wurde im Westen bekannt durch eine Aktion in der Christ-Erlöser-Kathedrale, der wohl wichtigsten Kirche Russlands, in Moskau im Februar 2012. In dieser hält der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche Kyrill I., die Messen zu Ostern und Weihnachten ab.

Sie führten vor dem Altar ein „Punk-Gebet“ gegen die Allianz von Kirche und Staat auf. Für die Veröffentlichung im Internet wurden die Videobilder des Auftritts mit den Aufnahmen in einer anderen Kirche erweitert und mit einer neuen Tonspur unterlegt. Erst in dieser Version, behauptete später die Anklage, wurde Präsident Putin erwähnt: „Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin“ und „Der Patriarch glaubt an Putin, obwohl er an Gott glauben sollte“. Es wird sich deshalb wohl auch nicht mehr eindeutig feststellen lassen, was genau in der Kathedrale geschah und was lediglich Inhalt des Videos ist.

Nach eigenen Angaben protestierten die Frauen von Pussy Riot mit ihrem Auftritt dagegen, dass der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche Herrn Putin vor den Präsidentschaftswahlen unterstützte und unter anderem sagte, Putin habe „die Krümmung der Geschichte zurechtgebogen“. Sie werfen dem Klerus die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit vor. Nach ihrer Aktion entschuldigten sie sich bei den Gläubigen.

Gegen die verhafteten drei Mitglieder von Pussy Riot wurde Anklage wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung erhoben, der Patriarch warf ihnen Blasphemie vor.

Am 17. August 2012 verurteilte ein Gericht die Bandmitglieder wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ zu jeweils zwei Jahren Straflager. Im Berufungsverfahren wurde für eine der Angeklagten, Frau Samuzewitsch, die Haftstrafe in eine Bewährungsstrafe umgewandelt, während das Berufungsgericht die Haftstrafen für die beiden anderen Pussy-Riot-Mitglieder, Frau Tolokonnikowa und Frau Aljochina bestätigte.

Inzwischen ist ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Das Urteil wurde weltweit, auch in Russland, kritisiert.

Im September 2013 trat Frau Tolokonnikowa im Straflager in den Hungerstreik, da sie laut ihren Angaben 17 Stunden am Tag arbeiten müsse und Todesdrohungen von der Gefängnisleitung bekommen habe. Sie verglich in einem Brief das Straflager mit einem ehemaligen sowjetischen Gulag-Lager, die Haftbedingungen grenzten an Sklaverei, die hygienischen Bedingungen seien entsetzlich. Sie beschreibt aber auch den Psychoterror, der gegen die Häftlinge ausgeübt wird, detailliert.

Einige Tage später erklärten die Behörden, dass sie zu ihrer „eigenen Sicherheit“ in ein anderes Gefängnis verlegt werde. Kurz darauf begann Frau Tolokonnikowa erneut einen Hungerstreik, da die Verlegung nicht erfolgte. Selbst der russische Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin warf den Behörden vor, sie hätten ihr Versprechen gebrochen, Frau Tolokonnikowa in ein anderes Straflager zu verlegen.

Und nun ist Frau Tolokonnikowa verschwunden. Seit dem 21.10.2013 ist ihr Aufenthaltsort nicht mehr bekannt. Die Strafvollzugsbehörde hat mitgeteilt, dass sie in ein anderes Gefängnis verlegt werde, aber nicht in welches. Angeblich will man dies den Familienangehörigen binnen 10 Tagen mitteilen.

Zuletzt soll sie in Tscheljabinsk im Ural gesehen worden sein. Es muss wohl davon ausgegangen werden, dass dies eine Reaktion der Behörden auf die Proteste von Frau Tolokonnikowa war und man kann kaum glauben, dass dies auf unterer Ebene entschieden wurde, ohne zumindest die Zustimmung aus Moskau einzuholen.