Direkte Demokratie – Volksentscheide (02.08.2011)

Der Begriff Volksentscheid wird meist verwandt, um eine aus dem Volk heraus angestrebte Abstimmung über einen politischen Gegenstand zu bezeichnen, während der Begriff Referendum verwandt wird, um eine von der gewählten Vertretung angesetzte Entscheidung des Volkes zu bezeichnen. Das Grundgesetz macht diese Unterscheidung nicht: Es verwendet den Begriff Volksentscheid für alle Entscheide durch das Volk. Umgangssprachlich wird in Deutschland zudem oftmals der Begriff Volksabstimmung verwandt.

Ich werde in der Folge von Volksentscheiden sprechen, da ich unterschiedlich Begriffe nur verwirrend finde. Es geht ja um den Inhalt, d.h. ein Entscheidung durch die Bürger, und ob diese nun über etwas abstimmen, was eine bestimmte Zahl von Bürgern zur Entscheidung vorlegt oder ob über etwas abgestimmt wird, was der Staat seinen Bürgern zur Entscheidung vorlegt, läuft ja auf dasselbe hinaus, nämlich eine Entscheidung durch die Bürger.

Volksentscheide gibt es in Deutschland fast nur auf Landes- und Kommunalebene. Auf Bundesebene sind sie lediglich vorgesehen für eine Länderneugliederung (Art. 29 GG) oder wenn eine neue Verfassung für Deutschland (Art. 146 GG) beschlossen werden soll. So fand 1996 eine Abstimmung statt über eine Zusammenlegung der Länder Berlin und Brandenburg, die aber an den Bürgern von Brandenburg scheiterte. Der Zusammenschluss in Baden-Württemberg in den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts folgte anderen Regeln (Art. 118 GG). Dies darzustellen würde hier zu weit führen.

Die Landesverfassungen sehen unterschiedlichste Regeln für die Durchführung von Volksentscheiden auf Landesebene vor, ebenso die jeweiligen Gemeindeordnungen für die Kommunen. Hierzu werde ich mich nächste Woche äußern. Heute sollen die Argumente für und gegen Volksentscheide einer Prüfung unterzogen werden, nachdem ich letzte Woche schon ausführte, dass für mich allein entscheidend ist, dass wir eine freiheitliche Verfassung haben, die dazu zwingt, dass der Bürger auch zwischen den Wahlterminen gehört wird.

Argumente für den Volksentscheid:

– „Blankoscheck Wahl“ alle 4 oder 5 Jahre reiche nicht aus.

Dem stimme ich zu. Allerdings mag ich das Wort „Blankoscheck“ nicht. Dieses impliziert,       dass die Volksvertreter keine Verantwortung gegenüber den Bürgern hätten. Dies ist unrichtig, da sie sich bei der nächsten Wahl rechtfertigen müssen. Allerdings erscheint es mir zwingend, dass in Fragen, in denen der Bürger dies will, er auch gefragt wird.

– Der Bürgerentscheid sei ein Motor für Reformen.

Dies kann ich nicht teilen, Bürgerentscheide können genauso gut auch darauf hinauslaufen nichts zu verändern.

– Es gäbe keine Politik gegen den Bürgerwillen, die Politik würde verantwortungsvoller.

Lässt sich der Bürgerwillen überhaupt feststellen? Es gibt doch allenfalls Mehrheiten. Was bedeutet überhaupt, dass die Politik verantwortungsvoller würde? Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Politiker verantwortungslos handelt. Nur manchem passt halt das Ergebnis nicht.

– Die Bürger würden besser informiert.

Nun auch heute verwehrt es niemand dem Bürger sich zu informieren.

– Es gäbe weniger Selbstbedienung von Politikern.

Es hat sicher in der Vergangenheit eklatante Missbräuche gegeben, die aber heute weitgehend abgestellt sind. Und wenn gegen Gesetze verstoßen wird, liegt dies nicht daran, dass es keinen Volksentscheid gibt.

– Der Wettbewerb führe zu besseren Ergebnissen.

Vielleicht, aber nicht zwingend. Dies hängt weitgehend von der Qualität der Information ab.

– Mit Volksabstimmungen würde der Bundestag gestärkt.

Dies kann ich nicht erkennen.

– Resignation und politischer Gewalt der Boden entzogen und die Akzeptanz politischer         Entscheidungen erhöht.

Das mit der Resignation könnte bei politiknahen Menschen stimmen. Politische Gewalt hat m.E. damit nichts zu tun. Auch in einer repräsentativen Demokratie muss man Mehrheitsentscheidungen akzeptieren. Ob die Akzeptanz steigt habe ich ebenfalls Zweifel.

Argumente dagegen,

– Die Bürger seien nicht hinreichend informiert für Entscheidungen solcher Tragweite, sie seien leicht manipulierbar.

Dies erachte ich für falsch. Wer zu einer Volksabstimmung geht wird sich informieren, zumindest was die von ihm gewählte Partei meint. Wer den Bürger als leicht manipulierbar bezeichnet, unterschätzt diesen.

– Minderheiten könnten der Mehrheit ihren Willen aufzwingen, aber auch umgekehrt könnten Minderheiten von der Mehrheit diskriminiert werden.

Ersteres ist eine Frage der Höhe der Beteiligung. Dies gilt auch für sonstige Wahlen. Letzteres muss beachtet werden. Es darf natürlich keine grundgesetzwidrigen Volksentscheide geben, auch in diesem Rahmen sind Grundrechte zu beachten. Dagegen verstoßende Fragestellungen dürfen nicht zugelassen werden.

– Direkte Demokratie sei langsam und teuer, die Verantwortlichkeiten würden verwischt.

Natürlich dauert ein Volksentscheid. Aber bereits jetzt sind viele Gesetzesverfahren sehr langwierig. Und Gesetze, die über Nacht gemacht werden müssen, gibt es eher selten, Stichworte Finanzkrise, Atomausstieg, EURO. Beim ersten Punkt müsste wohl in der akuten Phase tatsächlich über Nacht entschieden werden, bei den anderen Punkten m.E. nicht. Und Verantwortlichkeiten werden nicht verwischt. Wenn die Bürger in einer bestimmten Art und Weise abstimmen sind sie selbst verantwortlich, dies gilt auch für diejenigen, die nicht zur Abstimmung gehen.

Die Schlussfolgerung ist für mich, dass die Argumente gegen Volksentscheide an den Haaren herbeigezogen sind. Sie entsprechen eher einer diffusen Angst vor dem Bürger. Diese rührt wahrscheinlich daher, dass man kaum Erfahrungen mit Volksentscheiden in Deutschland hat.

Auch die Argumente dafür sind häufig eher dürftig und setzen nicht am entscheidenden Punkt an. Dieser ist bleibt und der mündige Bürger in einem freiheitlichen Staat. Ich habe jedoch das Gefühl, dass es in allen Parteien Politiker gibt, die sich vor diesem mündigen Bürger fürchten.

Es muss deshalb intensiv über die Ausgestaltung des Verfahrens diskutiert werden und darüber, ob es Themen gibt, über die der Bürger nicht abstimmen darf. Dazu mehr in einem späteren Artikel.