Vorratsdatenspeicherung, die Stellungnahme des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (15.12.2013)

Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung ist diese Woche vom Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) für in vollem Umfang unvereinbar mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erklärt worden.

Historie:

In 2006 wurde die Richtlinie 2006/24/EG gegen die Stimmen von Irland und der Slowakei beschlossen, d.h. die damalige Koalition aus SPD und CDU/CSU hatte zugestimmt. Im Europaparlament waren es Christ- und Sozialdemokraten, die für die Richtlinie stimmten. Bei der Umsetzung in deutsches Recht im Januar 2008 kamen die Ja-Stimmen nur von Christ- und Sozialdemokraten.

Danach sollten ohne Verdacht gegen einen Bürger für sechs Monate u.a. folgende Daten gespeichert:

– Telefonnummern von Anrufer und Angerufenem

– Uhrzeit und Dauer der Gespräche

– bei Mobilfunkgesprächen die Orte von Anrufer und Angerufenem

– E-Mail- und IP-Adressen von Sendern und Empfängern

– Verbindungsdaten bei der Internetnutzung

Jedoch erließ das Bundesverfassungsgericht bereits im März 2008 eine Einstweilige Anordnung, wonach Daten zwar gespeichert, aber nur bei schweren Straftaten weitergegeben werden durften. Mit Urteil vom 02.03.2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht dann auf Klage von ca. 35.000 Bürgern das Gesetz für insgesamt verfassungswidrig.

Der Verfassungsgerichtshof Österreichs und der High Court Irlands hingegen legten dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Entscheidung vor, ob diese Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit sonstigem EU-Recht, insbesondere mit der Charta der Europäischen Grundrechte vereinbar ist.

Im Rahmen dieses Verfahrens gab der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof eine Stellungnahme ab. Der Generalanwalt hat die Aufgabe, nach der mündlichen Verhandlung öffentlich und in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einen Vorschlag für ein Urteil in der Form von begründeten Schlussanträgen zu stellen. Gegenwärtig gibt es elf Generalanwälte. In den meisten Fällen ist der EuGH in der Vergangenheit dem Votum des Generalanwalts gefolgt.

Was hat der Generalanwalt genau gesagt:

Von einigen wird mit viel Euphorie suggeriert, dass der Generalanwalt die Vorratsdatenspeicherung für Null und Nichtig erklärt habe. Dies ist mitnichten der Fall. Er hat erklärt, dass sie in der gegenwärtigen Form gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt. Ähnlich hat dies ja auch das Bundesverfassungsgericht im oben genannten Urteil getan.

Der Generalanwalt hat bewusst einige Fragen offen gelassen und sich nur auf einige Punkte beschränkt.

Er betont, dass es sich um eine Richtlinie handelt, mit der lediglich den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste eine Verpflichtung zur Erhebung und Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten der elektronischen Kommunikation auferlegt werden soll und keine Schutzmaßnahmen getroffen werden, die für den Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten und deren Auswertung zu gelten haben. Insoweit verlässt sich die Richtlinie grundsätzlich auf die Mitgliedstaaten (Ziff. 113 der Stellungnahme).

Der Unionsgesetzgeber dürfe jedoch, wenn er einen Rechtsakt erlässt, mit dem Verpflichtungen auferlegt werden, die mit Eingriffen in Grundrechte der Unionsbürger verbunden sind, es nicht vollständig den Mitgliedstaaten überlassen, diese Schutzmaßnahmen festzulegen. Er dürfe sich weder damit begnügen den Mitgliedstaaten, die Aufgabe zu übertragen, diese festzulegen und einzuführen, noch sich völlig auf die Justizbehörden verlassen, die mit der Kontrolle der konkreten Anwendung betraut sind. Er müsse vielmehr seinen Teil der Verantwortung in vollem Umfang übernehmen, indem er zumindest die Grundsätze festlegt, die für die Festlegung, Einführung, Anwendung und Kontrolle der Beachtung dieser Schutzmaßnahmen gelten sollen (Ziff. 120 der Stellungnahme).

So sei es versäumt worden den Zugang zu den Daten so zu regeln, dass er auf unabhängige Stellen beschränkt wird und dass jeder Zugangsantrag der Kontrolle der Justiz oder anderer unabhängiger Stellen unterliegt.

Es fehle auch jeder Hinweis darauf, dass Behörden, die Zugang zu den Daten erhalten, diese löschen müssen, wenn sie nicht mehr benötigt werden und die Betroffenen über den Zugang zumindest nachträglich zu informieren haben.

Im Ergebnis betrachtet er die Richtlinie insgesamt für unvereinbar mit der Charta der EU-Grundrechte. Er begründet dies damit, dass ihr die unabdingbaren Grundsätze fehlen, die für die Beschränkung des Zugangs und der Auswertung notwendig sind.

Darüber hinaus verlange Art. 52 Abs. 1 der Charta nicht nur, dass jede Einschränkung der Grundrechtsausübung gesetzlich vorgesehen ist, sondern auch, dass sie unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt.

Aus diesem Blickwinkel sei die Verfolgung des in der Richtlinie angegebenen Ziels durch die Unionsorgane nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sie u. a. mit dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Einklang steht

Jedoch verfolge die Richtlinie ein vollkommen legitimes Ziel, die Verfügbarkeit der erhobenen und auf Vorrat gespeicherten Daten zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten sicherzustellen.

Er hält aber die lange Frist von zwei Jahren für die Speicherung der Daten für unverhältnismäßig. Er habe kein Argument gehört, dass ihn davon überzeugt hätte die Vorratsdatenspeicherung über ein Jahr hinaus zu verlängern.

Zur Frage der Folgen dieser Unwirksamkeit führt er aus, dass der Ausgleich der verschiedenen bestehenden Interessen Gegenstand einer sehr sorgfältigen Abwägung sein muss.

Im vorliegenden Fall stünden einerseits die Relevanz und die Dringlichkeit der Endziele der betreffenden Grundrechtseinschränkung außer Frage. Andererseits seien die Feststellungen zur Ungültigkeit von ganz besonderer Art. Zum einen ist die Richtlinie ungültig, weil eine hinreichende Beschränkung durch Schutzmaßnahmen fehlt, die den Zugang zu den erhobenen und auf Vorrat gespeicherten Daten sowie ihre Auswertung regeln. Zum anderen hätten die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse hinsichtlich der Höchstdauer der Vorratsdatenspeicherung maßvoll ausgeübt.

Unter diesen Umständen sei die Wirkung der Feststellung der Ungültigkeit der Richtlinie auszusetzen, bis der Unionsgesetzgeber die Maßnahmen ergreift, die erforderlich sind, um der festgestellten Ungültigkeit abzuhelfen, wobei diese Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist getroffen werden müssten.
Was bedeutet dies:

Die Richtlinie ist rechtswidrig darf aber für einen bestimmten Zeitraum, den der EuGH bestimmen möge, weiter gelten. Ich gehe dabei davon aus, dass der EuGH dem Generalanwalt folgt.

Nun haben wir aber noch zu klären, ob Deutschland die Richtlinie noch umsetzen muss, wenn feststeht, dass sie geändert wird, zumal die Kommission selbst bereits eine Änderung anstrebt. Kann Deutschland dann noch zu einer Strafe verurteilt werden, weil es die Richtlinie bisher nicht umgesetzt hat? Und kann die große Koalition die Richtlinie noch umsetzen, obwohl diese rechtswidrig ist?

Meines Erachtens kann eine Richtlinie, die gegen die Charta der Grundrechte verstößt nicht mehr umgesetzt werden, sondern muss gewartet werden, bis die EU eine geänderte Richtlinie verabschiedet.

Ebenso darf m.E. keine Strafzahlung verhängt werden, weil die Richtlinie ungültig ist. Auf ungültiges Recht kann keine Strafzahlung gestützt werden.

Eine letzte Frage ist dann, ob die Richtlinie überhaupt so gefasst werden kann, dass sie nicht gegen Grundrechte verstößt. Hier hält sich der Generalanwalt bedeckt und spricht von einem legitimen Ziel, das die Richtlinie verfolge.

Ich wage mich mal etwas weiter aus der Deckung und sage, ich kann mir keine Regelung vorstellen, nach der eine anlasslose und flächendeckende Vorratsspeicherung vereinbar mit den Grundrechten der Bürger ist.