Bürokratieabbau in Europa? (06.10.2013)

74 % der Europäer sind laut Umfragen der Ansicht, dass die EU zu viel Bürokratie schafft. Angeblich hat die Kommission deshalb bereits in den letzten Jahren gezielte Anstrengungen zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften und zur Reduzierung des regelungsbedingten Aufwands unternommen.

Nur, hat dies jemand mitbekommen? Ich nicht.

Ende 2012 hat die Kommission unter dem Namen REFIT (REFIT – EU
Regulatory Fitness and Performance Programme) ein Programm mit dem Ziel, das europäische Recht zu straffen und seine Anwendung in den Mitgliedstaaten zu erleichtern, vorgelegt.

Das REFIT-Programm liegt vor allem im Interesse kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Denn besonders auf diese können EU-Vorschriften erhebliche Auswirkungen haben. Mit einer Online-Befragung hat die Kommission Ende 2012 diejenigen zehn EU-Vorschriften ermittelt, die KMU am stärksten belasten. Die Ergebnisse sind in eine Mitteilung eingeflossen, die die Kommission auf Aufforderung des Europäischen Rates am 7. März 2013 vorgelegt hat. Hierin präzisiert die Kommission auch ihre Planung zur Umsetzung des REFIT-Programms, dessen Ergebnisse sie jährlich veröffentlichen wird. Hierzu zählt auch ein KMU-Anzeiger, in dem die Fortschritte bei KMU-relevanten Vorschriften dargestellt werden.

Die KMU haben folgende Punkte als die 10 wichtigsten Problembereiche benannt:

die REACH-Verordnung (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe),

die Mehrwertsteuervorschriften,

das Gesetzespaket für die allgemeine Produktsicherheit und die Marktüberwachung,

die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen,

die Abfall-Rahmengesetzgebung (Abfallverbringung, Verzeichnis von Abfällen und gefährlichen Abfällen),

die Arbeitsmarktvorschriften,

die Datenschutzvorschriften,

die Vorschriften über die Arbeitszeiten,

die Vorschriften über Ausrüstung für Lenk- und Ruhezeiten im Straßenverkehr,

die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge,

den modernisierten Zollkodex.

Anfang Oktober 2013 gab es weitere Mitteilungen der Kommission wie sie die Vereinfachungen angehen will:

Dem Gesetzgeber liegen derzeit Vorschläge vor, z. B. in den Bereichen Tiergesundheit, Produktsicherheit für Verbraucher und Marktüberwachung, öffentliches Auftragswesen, gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer, klinische Prüfungen mit Arzneimitteln und Pauschalreisen.

Weitere Bereiche, die 2013/2014 für eine Vereinfachung in Betracht kommen, betreffen u.a. die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, Unternehmensstatistik, Gesellschaftsrecht, die Einführung einer Standard-MwSt-Erklärung, Tierzucht und Handelsverordnungen.

In bestimmten Bereichen erwägt die Kommission, auf Maßnahmen zu verzichten und bestehende EU-Rechtsakte aufzuheben.

Die Kommission wird jährlich einen REFIT-Anzeiger veröffentlichen, um die Fortschritte beobachtbar zu machen und den Dialog mit den Bürgern, Mitgliedstaaten, Unternehmen und der Zivilgesellschaft insgesamt über die Effizienz der Rechtsetzung fortzusetzen.

Der Kommissionspräsident, Herr Barroso, hat sich wie folgt geäußert:

Ich messe der Subsidiarität große Bedeutung bei. Subsidiarität ist für mich kein technischer Begriff, sondern ein fundamentaler demokratischer Grundsatz. Voraussetzung für eine noch engere Union der Bürger Europas ist, dass Entscheidungen so transparent und so bürgernah wie möglich getroffen werden. Nicht alles muss auf europäischer Ebene gelöst werden. Europa muss sich auf die Bereiche konzentrieren, in denen es den größten Zusatznutzen bewirken kann. In Bereiche, in denen dies nicht möglich ist, sollte sich Europa besser nicht einmischen. Die EU sollte sich in großen Fragen stark engagieren und in kleineren Fragen zurückhalten – eine Devise, die wir in der Vergangenheit vielleicht das eine oder andere Mal vernachlässigt haben. Die EU muss zeigen, dass sie sowohl positive als auch negative Prioritäten setzen kann. Wie jede Regierung müssen wir besonderes Augenmerk auf Umfang und Qualität unserer Rechtsvorschriften legen, denn wie Montesquieu schon sagte: „Nutzlose Gesetze entkräften nur die notwendigen.“ Davon abgesehen gibt es wichtige Bereiche, in denen Europa mehr Gemeinsamkeit und mehr Einigkeit an den Tag legen muss, d. h. in denen nur ein starkes Europa wirklich etwas bewirken kann.“

Ich könnte jetzt ja sarkastisch anmerken, dass es schön ist, dass das Prinzip der Subsidiarität, dass in den EU-Verträgen verankert ist, auch bereits bei der Kommission angekommen ist.

Aber nehmen wir es doch als das was es ist, ein erster Hoffnungsstrahl, dass die EU weniger Bürokratie schafft. Voraussetzung ist natürlich, dass alle mitziehen, nicht nur in der Kommission, sondern auch im EU-Parlament und im Rat. Gefragt ist aber auch die nationale Ebene, die das Prinzip der Subsidiarität einfordern muss. Dass es dann noch Lobbyverbände gibt, die alles nur auf europäischer Ebene regeln wollen, ist ein weiteres Problem. Siehe dazu z.B. den unten verlinkten Artikel der Welt.

So ist es kein Wunder, dass sich die Kommission keineswegs einig ist.

Aber auch hier ist zu konstatieren, dass diese Überlegungen von Herrn Barroso kaum öffentlich bekannt wurden. Hätte es nicht den Zoff innerhalb der Kommission gegeben, so wäre es kaum in die Medien gelangt.

Es ist in diesem Zusammenhang ärgerlich, dass die Europaabgeordneten solche Überlegungen nicht stärker über ihre Parteien publik machen und damit dazu beitragen, dass die Vorstellung der EU als eines abgeschotteten Molochs, der keinem Argument zugänglich ist, mit aufrecht erhalten.

Vielleicht kann die Europawahl im nächsten Jahr zu einem Umdenken führen. Aber nur, wenn wir Bürger uns die Freiheit nehmen und die Kandidaten entsprechend befragen.