Vorratsdatenspeicherung (05.06.2011)

Um was geht es?

Im Januar 2008 wurde die EU-Richtlinie (RL 2006/24/EG) zur Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht umgesetzt. Die Richtlinie war am 21.02.2006 gegen die Stimmen von Irland und der Slowakei beschlossen worden, d.h. die damalige Koalition aus SPD und CDU/CSU hatte zugestimmt. Im Europaparlament waren es Christ- und Sozialdemokraten, die für die Richtlinie stimmten, im Bundestag kamen die Ja-Stimmen nur von Christ- und Sozialdemokraten.

Es wurden ohne Verdacht gegen einen Bürger für sechs Monate u.a. folgende Daten gespeichert:

– Telefonnummern von Anrufer und Angerufenem
– Uhrzeit und Dauer der Gespräche
– bei Mobilfunkgesprächen die Orte von Anrufer und Angerufenem
– E-Mail- und IP-Adressen von Sendern und Empfängern (verpflichtend seit 2009)
– Verbindungsdaten bei der Internetnutzung (ebenfalls seit 2009).

Nicht gespeichert wurden die Inhalte der Kommunikation.

Jedoch erließ das Bundesverfassungsgericht bereits im März 2008 eine Einstweilige Anordnung, wonach Daten zwar gespeichert, aber nur bei schweren Straftaten weitergegeben werden durften.

Mit Urteil vom 02.03.2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht dann auf Klage von ca. 35.000 Bürgern das Gesetz für insgesamt verfassungswidrig. Es seien nachfolgend um Klarheit über den Inhalt der Entscheidung zu haben, die sechs Leitsätze des Urteils zitiert:

„1. Eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikations- verkehrsdaten durch private Diensteanbieter, wie sie die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 (ABl L 105 vom 13. April 2006, S. 54; im Folgenden: Richtlinie 2006/24/EG) vorsieht, ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar; auf einen etwaigen Vorrang dieser Richtlinie kommt es daher nicht an.

2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die gesetzliche Ausgestaltung einer solchen Datenspeicherung dem besonderen Gewicht des mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriffs angemessen Rechnung trägt. Erforderlich sind hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes.

3. Die Gewährleistung der Datensicherheit sowie die normenklare Begrenzung der Zwecke der möglichen Datenverwendung obliegen als untrennbare Bestandteile der Anordnung der Speicherungsverpflichtung dem Bundesgesetzgeber gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG. Demgegenüber richtet sich die Zuständigkeit für die Schaffung der Abrufregelungen selbst sowie für die Ausgestaltung der Transparenz- und Rechtsschutzbestimmungen nach den jeweiligen Sachkompetenzen.

4. Hinsichtlich der Datensicherheit bedarf es Regelungen, die einen besonders hohen Sicherheitsstandard normenklar und verbindlich vorgeben. Es ist jedenfalls dem Grunde nach gesetzlich sicherzustellen, dass sich dieser an dem Entwicklungsstand der Fachdiskussion orientiert, neue Erkenntnisse und Einsichten fortlaufend aufnimmt und nicht unter dem Vorbehalt einer freien Abwägung mit allgemeinen wirtschaftlichen Gesichtspunkten steht.

5. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten sind nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen. Im Bereich der Strafverfolgung setzt dies einen durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden.

6. Eine nur mittelbare Nutzung der Daten zur Erteilung von Auskünften durch die Telekommunikationsdiensteanbieter über die Inhaber von Internetprotokolladressen ist auch unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Aufgaben zulässig. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten können solche Auskünfte nur in gesetzlich ausdrücklich benannten Fällen von besonderem Gewicht erlaubt werden.“

Wie man sieht erklärten die Richter die Vorratsdatenspeicherung nicht schlechthin für verfassungswidrig. Sie machten jedoch strenge Auflagen für eine Neureglung und erklärten die bestehende Regelung für nichtig.

Die EU fordert weiterhin, dass die Richtlinie auch in Deutschland umgesetzt wird. In einem Prüfbericht hat die Kommission zwar Verbesserungsbedarf eingeräumt, aber nicht an der grundsätzlichen Notwendigkeit gezweifelt.

Die entscheidend Frage ist somit zunächst, was hilft wirklich gegen Terror und Kriminalität und was ist auf der anderen Seite für den Schutz der Daten der Bürger zwingend erforderlich.

Letzteres lässt sich zumindest in den Grundsätzen dem oben genannten Urteil des BVerfG entnehmen.

Die Argumente der Kommission für die Vorratsdatenspeicherung sind äußerst dürftig. Es darf aus S. 37 des Berichts zitiert werden:

„Die meisten Mitgliedstaaten halten die EU-Rechtsvorschriften zur Vorratsdatenspeicherung nach wie vor für ein notwendiges Instrument für die Strafverfolgung, den Opferschutz und die Strafjustiz. Die Belege in Form der von den Mitgliedstaaten übermittelten Statistiken und Beispiele sind zwar in mancher Hinsicht unzulänglich, bestätigen aber dennoch die äußerst wichtige Rolle von auf Vorrat gespeicherten Daten für strafrechtliche Ermittlungen. Diese Daten liefern wertvolle Anhaltspunkte und Beweismittel für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten und die Strafjustiz. Ihre Verwendung hat zu Verurteilungen von Straftätern bei Straftaten geführt, die ohne die Vorratsdatenspeicherung möglicherweise nie aufgeklärt worden wären. Sie hat außerdem zu Freisprüchen von Unschuldigen geführt. Harmonisierte Vorschriften in diesem Bereich sollten gewährleisten, dass die Vorratsdatenspeicherung ein wirksames Instrument zur Bekämpfung von Kriminalität ist, dass für die Wirtschaft in einem reibungslos funktionierenden Binnenmarkt Rechtssicherheit besteht und dass die strengen Vorgaben zur Achtung der Privatsphäre und zum Schutz personenbezogener Daten EU-weit einheitlich angewandt werden.“

Auch ansonsten tun sich die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung schwer und stellen leider nur Behauptungen auf und liefern nicht mal ansatzweise Indizien.

Angeblich gibt es ein „Geheimpapier“, in dem das BKA aufgelistet haben soll, in welchen Fällen es nicht zum Erfolg kam, weil es keine Vorratsdatenspeicherung gab. Das BKA verbreitete im Herbst letzten Jahres unter Journalisten eine Liste mit Beispielen, bei denen man den Täter angeblich nicht habe ermitteln können. Drei Teile hat die Liste, der erste zeigt Fälle, in denen man keines Täters habhaft werden konnte: Zwar sei die IP-Adresse bekannt gewesen, habe sich aber als Sackgasse erwiesen. Der Grund in jedem Fall: keine Vorratsdaten vorhanden. Die Taten so üble wie Kindesmissbrauch, Sabotage und Spionage. Auch am Telefon könne man Bombendroher, Mörder und Anschlagsplaner derzeit nicht finden. Im dritten Teil geht es um Standortdaten von Mobiltelefonen. Auch dazu hat das BKA plakative Taten, beispielsweise einen Polizistenmord.

Man fragt sich zum einen weshalb dies nicht öffentlich diskutiert wird. Wenn das BKA dies nicht tut, muss man vermuten, dass seine Argumentation im Endeffekt auf schwachen Beinen steht.

Und klar sei gesagt, wer Grundrechte einschränken will, der muss schon verdeutlichen können, dass dies unabweisbar ist.

Die Datenschützerseite argumentiert gerade bei Statistiken auch nicht immer redlich. Sie ist oft ebenfalls mit Vorsicht zu genießen.

Nur, der entscheidende Punkt ist, dass derjenige der Grundrechte einschränken will, den Beweis der Erforderlichkeit und Notwendigkeit zu führen hat.

Und solange dies nicht geschieht, ist die Vorratsdatenspeicherung abzulehnen.

Ein anderer Punkt ist die bestehende EU-Richtlinie, die die Mitglieder der EU zwingt diese Richtlinie umzusetzen. Allerdings haben neben Deutschland auch Tschechien, Rumänien und Schweden die Richtlinie noch nicht umgesetzt.

Hier kann nur politisch argumentiert werden, dass die Umsetzung keinen Sinn macht, solange die Kommission selbst nicht in der Lage ist zu sagen, welche Punkte wie geregelt werden sollen.